Stressregulation und Window of tolerance

Die Auswirkung von Bindungserfahrungen auf die Fähigkeit zur Stressregulation

Co-Regulation als Voraussetzung für Selbstregulation

Die Grundlagen für unsere Fähigkeit zur Stressregulation werden insbesondere in den ersten Lebensjahren gelegt. Wenn wir als Kinder Bindungserfahrungen mit eingestimmten, präsenten und verlässlichen Bezugspersonen machen, können sich unser Gehirn und unser Nervensystem optimal entwickeln: Wir lernen, uns mithilfe unserer Bindungspersonen zu regulieren (Co-Regulation). Auf Grundlage dieser Erfahrungen entwickeln wir die Fähigkeit, uns bei Stress selbst beruhigen zu können (Selbstregulation).

Funktions- und Überlebensmodus bei fehlender Co- und Selbstregulation

Daniel Siegel beschreibt das Erleben von und den Umgang mit Stress mit Hilfe des Bildes vom Toleranzfenster. Die Größe des Toleranzfensters ist bei jedem Menschen individuell. Bei den meisten Menschen, die traumatisiert sind, ist das Toleranzfenster eher kleiner, da sich das Nervensystem aufgrund von schlechten Bindungserfahrungen und Traumatisierungen nicht optimal entwickeln konnte, sodass eine verminderte Stresstoleranz entstanden ist. So können eigentlich ganz normale Veränderungen im Erregungsgrad die Betroffenen aus dem Gleichgewicht bringen. Dabei wird die Toleranzschwelle schon bei relativ geringem Stress überschritten und die Betroffenen reagieren mit einer Über- oder Untererregung, die in der Vergangenheit angemessen war, heute jedoch meistens nicht mehr passend ist. Wenn wir außerhalb unseres Toleranzfensters sind, befindet sich unser Nervensystem im Überlebens- und Funktionsmodus (Kampf, Flucht, Erstarrung). Wir sind dann nicht mehr in der Lage, klare Gedanken zu fassen und überlegt zu handeln. Siegel unterscheidet drei Erregungszonen.


Window of Tolerance nach Daniel Siegel

Window of Tolerance nach Daniel Siegel

Erregungszonen des Window of Tolerance

 

Übererregung

  Eine Übererregung ist ein Zustand erhöhter Alarmbereitschaft. Der Körper wird auf schnelles Handeln vorbereitet und in Kampf- oder Fluchtbereitschaft versetzt. Der Zustand ist gekennzeichnet durch große Anspannung und starke Emotionen. Die Fähigkeit, rational zu denken und gezielte Entscheidungen zu treffen, ist erheblich eingeschränkt.
 

Symptome

  • hohes Stresslevel
  • Nervosität und Unruhe
  • Hektik oder Chaos im Alltag
  • starke muskuläre Anspannung
  • Gedankenrasen, zwanghafte Gedanken
  • beschleunigter Herzschlag, erhöhte Puls- und Atemfrequenz
  • Ärger, Reizbarkeit, Wutanfälle
  • Angst und Panik
  • übermäßiges Essen, Süchte
  • erhöhte Schreckhaftigkeit
  • Schmerzen
  • Schlaflosigkeit
  • Konzentrationsprobleme
  • Überwachsamkeit
  • Misstrauen anderen gegenüber
   
 

Untererregung

 
  Eine Untererregung ist ein Zustand der Energielosigkeit. Im Extremfall erstarrt der Körper und friert ein, schaltet sich ab. Eine adäquate Reaktion ist nicht mehr möglich.  
 

Symptome

  • Müdigkeit und Erschöpfung
  • Depression
  • Leere
  • sozialer Rückzug
  • Inaktivität
  • sich allein fühlen
  • sch nicht wehren, nicht Nein sagen können
  • Schmerzunempfindlichkeit
  • Taubheit und Lähmung
  • Dissoziation
  • niedriger Blutdruck, kalte Extremitäten
  • Appetitlosigkeit
 
     
 

Stressresistenz in der optimalen Erregungszone

 
  In der optimalen Erregungszone fühlen wir uns sicher, sind entspannt, offen, neugierig und unseren Mitmenschen gegenüber zugewandt. Es gelingt uns, die alltäglichen Aufgaben zu bewältigen, Herausforderungen zu meistern sowie mit Stress angemessen umzugehen. Es gibt zwar durchaus auch Situationen, die uns an die Grenzen des Toleranzfensters bringen, aber wir sind dann dennoch in der Lage, Strategien anzuwenden, die uns helfen, unsere Emotionen zu regulieren und uns innerhalb des Fensters halten. Beispielsweise kann uns ein stressiger Arbeitstag an den oberen Rand unseres Toleranzfensters bringen. Wenn diese Tag dann vorüber ist, landen wir häufig im unteren Bereich des Fensters und sind dann besonders müde und haben das dringende Bedürfnis uns zurückzuziehen, uns auszuruhen und zu regenerieren, bevor wir uns wieder neuen Aktivitäten zuwenden können. Unser Nervensystem ist flexibel und kann innerhalb des Toleranzfensters schwingen.